Economic Security – Ein noch schwer verständliches Versprechen | BÜTIS WOCHE #276

„Economic security“: Kaum ein Konzept hat in der Brüsseler Diskussion in den letzten anderthalb Jahren dermaßen Karriere gemacht wie dieses. Den Ausgang genommen hat die Diskussion über economic security in Japan, wo die Regierung unter dieser Überschrift eine eigene Administration und Strategie geschaffen hat. Economic security wird zunehmend verstanden als Teil der national security, der nationalen Sicherheit. Abgebildet wird damit eine Entwicklung, in der ehemals weitgehend getrennt gestaltete Sphären, die der Ökonomie und die der Sicherheit, zunehmend sich miteinander verschlingen. Economic security adressiert nicht irgend eine Art von wirtschaftlicher Stabilität und ökonomischem Wohlergehen, sondern thematisiert als Konzept die Bedrohung der jeweils eigenen Ökonomie durch im Wesentlichen wirtschaftliche Abhängigkeiten von Drittstaaten.

Insbesondere autoritäre Drittstaaten, ganz vorneweg die Volksrepublik China, haben in den letzten Jahren in wachsendem Maße ökonomische Abhängigkeiten zu nutzen versucht, um anderen Ländern mehr und mehr ihren politischen Willen aufzuherrschen. Economic coercion heißt das in der internationalen Debatte, und im Falle Chinas alleine sind über 50 Beispiele davon gesammelt worden. Sie betrafen etwa Japan, die Republik Korea, Australien, Norwegen, Schweden, Litauen, Tschechien, oder auch einzelne große Konzerne wie zum Beispiel H&M oder Adidas. Chinas Praxis hat das Vertrauen in die einer gemeinsamen ökonomischen Rationalität folgende internationale Verlässlichkeit von Kooperation in den Bereichen Handel und Investitionen massiv untergraben. Wenn einzelne Akteure, noch dazu sehr mächtige, systematisch die Wirtschaft in den Dienst revisionistischer und hegemonialer politischer Ziele stellen, erfordert das eben auch eine systemische Antwort.

Doch ist das Konzept economic security überhaupt ein Konzept? Ist hinreichend klar und eindeutig definiert, was jenseits einer schnell plausiblen Sorge vor ökonomischem Erpresstwerden damit genauer gemeint ist? Mir scheint, diese Frage kann man noch nicht mit Ja beantworten. In EU-Europa ist es insbesondere die Europäische Kommission, artikuliert angeführt von Präsidentin von der Leyen, die sich für die Entwicklung einer Strategie der economic security hinsetzt. Die Kommission hat dazu unterschiedliche Papiere publiziert, doch bisher hält sich die Begeisterung auf der Seite des Rates, also der 27 Mitgliedsregierungen, deutlich in Grenzen. Die Kommission hat vorgeschlagen, einem Dreiklang zu folgen: Protect. Promote. Partner. Das ist sicher richtig, denn wer sich darauf beschränken wollte, nur auf Abwehr unfairer Praktiken von dritter Seite zu setzen, würde zu kurz springen. Um Resilienz gegenüber Versuchen ökonomischen Drucks aufzubauen, muss neben konkreten Abwehrmaßnahmen schon auch die eigenständige Kraft und Wettbewerbsfähigkeit erhöht und die Zusammenarbeit mit denkbaren Partnern intensiv betrieben werden.

Allerdings wird bei diesem breiten Ansatz auch deutlich, dass eine Politik der economic security außerordentlich viele verschiedene Politikbereiche in Betracht ziehen muss. Economic security ist nicht vernünftig anzugehen als die sektorale Verantwortung einer spezialisierten Bürokratie, sondern hier müssen ganz verschiedene Bereiche ineinander greifen. Das allerdings impliziert auch, dass erheblich voneinander abweichende, einander widersprechende Gesichtspunkte der verschiedenen betroffenen Akteure ins Spiel kommen.

Man kann das schon allein in der Debatte innerhalb der deutschen Industrie schön beobachten. Während verschiedene Verbände und insbesondere viele Unternehmen des Mittelstandes economic security gegenüber China als Maßnahmen gegen die aus Peking kommenden unfairen Wirtschaftspraktiken buchstabieren möchten, betonen Großunternehmen wie Siemens, BASF oder Volkswagen, dass sie, die schon so viele Eier in den chinesischen Korb gepackt haben, ihre economic security durch noch weiter gehendes Engagement in China sichern möchten. Wirtschaftsfunktionäre betonen die Rolle, die Unternehmen bei der economic security spielen müssen, politische Akteure drängen auf regulative Maßnahmen. Die einen wollen Ordnungsrecht nutzen, die anderen würden lieber nach dem Vorbild der USA auf Subventionen und ökonomische Anreize setzen. Manche sehen großen Handlungsdruck, weil durch eine drohende Welle von chinesischen Exporten aus hoch subventionierter Überproduktion für verschiedene Sektoren eine Deindustrialisierung in Europa drohe, während andere sich schon dagegen wehren, wenn die EU-Kommission solche Praktiken überhaupt untersuchen will, wie im Bereich der Elektroautos.

Viele Stimmen werben dafür, neue Instrumente zu prüfen wie zum Beispiel das sogenannte outbound investment screening, das heißt die Möglichkeit, riskanten Technologieabfluss durch Investitionen im Ausland gegebenenfalls aus Gründen der nationalen Sicherheit zu unterbinden. Die Gegner dieses Instrumentes sehen darin einen Verstoß gegen das heilige Recht industrieller Eigentümer, über ihr Eigentum frei zu verfügen. Im Moment ist die Zahl der Unterstützer von outbound investment screening sehr überschaubar. Der einzige europäische Minister, der erklärtermaßen daran etwas Gutes finden wollte, war vor einem Jahr Robert Habeck.

Man könnte die Liste der Kontroversen leicht verlängern. Aber das ist nicht nötig, um zu konstatieren, dass economic security im Moment noch ein politisches Vexierbild darstellt. Im Moment erscheint es wahrscheinlicher, dass die erhoffte Strategie der economic security in der Praxis in einem unsystematischen Gewurschtel endet, als einer klaren Orientierung zu folgen.

Ein Weiteres kommt hinzu. Wenn man darauf schaut, wer sich bis jetzt vernehmlich an der Diskussion um economic security beteiligt, dann landet man im Wesentlichen bei Bürokraten, Thinktankern und einigen Politikern. Eine gesellschaftliche Debatte ist daraus noch nicht geworden. Das liegt zum einen vielleicht daran, dass Frau von der Leyen, bei allen Verdiensten, die ihr in der Beförderung dieser Debatte zuzusprechen sind, zu sehr auf eine Top-Down-Herangehensweise gesetzt hat. Es liegt sicher zum Teil auch daran, dass die Debatte in technokratischen Termini geführt wird und nicht hinreichend politisiert ist. Es werden quasi systemische Risikofragen behandelt, aber die Frage danach, welche konkreten Interessen berührt sein könnten oder würden, kommt viel zu wenig vor.

Es ist in puncto economic security offenkundig nicht egal, ob ich vom Standpunkt eines multinationalen Konzernes, eines Start-ups oder eines Familienunternehmens die Sache betrachte. Und was heißt das alles aus der Sicht von Gewerkschaften und Betriebsräten? Wenn BASF etwa seine economic security durch Verlagerung von Arbeitsplätzen nach China fördern möchte, hat die Gewerkschaft BCE sicher etwas dazu zu sagen. Was heißt economic security mit Blick auf die ökologische Transformation unserer Wirtschaft? Wie wollen wir damit umgehen, dass eine Elektrifizierungsstrategie in außerordentlich großem Maß technologisch von China abhängt? Wie kommen die Gesichtspunkte demokratischer Resilienz und der Verteidigung der Menschenrechte zum Tragen? Alles zu wenig entwickelte Fragen.

Ich glaube, die Debatte über economic security müsste schleunigst politisiert werden. Dazu böte eigentlich der aufziehende Europawahlkampf einen hervorragenden Rahmen. Es gibt mächtige Interessen, politische und ökonomische, die bei economic security bremsen wollen, aus ganz unterschiedlichen Gründen, und China schaut auch nicht unbeteiligt zu, sondern versucht sich in diese Debatte einzumischen, sie mitzuprägen, sie in eigenem Interesse zu verformen, und scheut dabei auch keine Informationsmanipulation. Als dem Grunde nach richtiger, aber technokratisch-bürokratisch verengter Ansatz droht die Debatte über economic security in eine Sackgasse zu laufen. Aber es ist durchaus noch Zeit und Gelegenheit, das zu ändern.


SONST NOCH 

Hier meine Plenarnotizen von der letzten Sitzungswoche des Europäischen Parlaments.

Meine Pressemitteilung zum Außenministerrat ist hier zu finden.

Am Dienstag habe ich bei einer Veranstaltung von ITIF zum Thema „Examining the EU’s Economic Security Strategy“ gesprochen. 

Ebenfalls am Dienstag habe ich mit Thüringens Wirtschaftsminister Tiefensee und den Präsidenten der Thüringer Hochschulen über Wissenschaftsfreiheit und EU-China Beziehungen diskutiert. 

In dieser Wocher war die neugewählte Vizepräsidentin von Taiwan, Hsiao Bi-Khim, in Brüssel zu Gast und ich hatte die Gelegenheit sie mehrfach zu treffen. 

Meine letzte Abstimmung im Handelsausschuss war ein „Ja“ zu einer Verordnung über Zwangsarbeit.

Gestern, am 21.03, fand meine letzte Sitzung der China-Delegation mit tollen ExpertInnen (Alicia García Herrero, Gunnar Wiegand, Francois Chimits, Antoine Bondaz, Janka Oertel) und 80 Teilnehmenden statt.

Heute, am 22.03, jähren sich die chinesischen Sanktionen gegen mich und andere Abgeordnete und Organisationen.